Bedrückend, beeindruckend, bezaubernd – ein Reisetagebuch


Die Reise durch die Alpen war voller Kontraste. Alles begann mit einem Nachtzug von Düsseldorf nach Wien, der zeigte, wie komfortabel und praktisch nachhaltiges Reisen sein kann. Um 20:30 Uhr in Düsseldorf einsteigen, um 10 Uhr in Wien aussteigen, keine Umstiege und ein Frühstück, das direkt ans Bett gebracht wird – viel besser geht es kaum. Voller Vorfreude auf die kommenden zwei Wochen machten wir uns auf den Weg zu unserem Hostel, um anschließend die Stadt zu erkunden. Die österreichische Hauptstadt begeisterte mich vor allem mit ihren wunderschönen Hausfassaden. Allerdings fiel mir auch auf, dass außerhalb von Parkanlagen fast keine Bepflanzung und Grünflächen zu finden waren, insbesondere in der Fußgängerzone fehlten mir grüne Aspekte. Die Sonne schien auf die versiegelten Flächen und die Hitze staute sich zwischen den hohen Gebäuden, die Donau konnte allenfalls als Rinnsal angesehen werden. Mit jedem Schritt wurde ich nachdenklicher, ich erinnerte mich an Vorlesungen über Stadtklima und Wärmeinseln. Wie wird sich das Stadtklima in den kommenden Jahren durch den Klimawandel verändern? Können nachträglich Grünflächen integriert werden, um den hohen Versiegelungsgrad zumindest teilweise zu kompensieren? Wie kann mehr Kalt- und Frischluft in die Zentren großer Städte geleitet werden? Mit diesen Fragen über nachhaltige Stadtentwicklung im Gepäck ging es am nächsten Morgen Richtung Süden. Schon bald überragten die grünen Hügel im Wiener Umland die Dächer und aus Häuserschluchten wurden langsam, aber sicher Felsschluchten.

Nach einem unendlich wirkenden Tunnel bei ausgefallener Beleuchtung im Zug erreichten wir Slowenien. Noch am gleichen Abend fuhren wir an den Bleder See und auch die obligatorische Cremeschnitte durfte natürlich nicht fehlen. Leider hatten wir nicht das beste Wetter, die Berge waren nicht zu sehen. Die instabile Wetterlage und Gewitterrisiko zwangen uns, unsere Pläne für den kommenden Tag zu ändern. Eine lange Wanderung durch den Triglav Nationalpark erschien uns zu riskant, sodass wir uns letztlich für einen Ausflug zur Vintgar-Schlucht anmeldeten. Eigentlich ein Ziel, das wir vermeiden wollten, da die Schlucht so stark frequentiert ist; es gibt genügend andere Schluchten, dachten wir uns. Das Wetter ließ jedoch nicht viel anderes zu und so fuhren wir ohne große Erwartungen an einem verhangenen Morgen zur Schlucht. Der Chef des Hostels brachte uns zum Eingang und sein Fahrstil sorgte dafür, dass wir zwischenzeitlich infrage stellten, überhaupt dort anzukommen. Schon um 9 Uhr morgens hatte sich eine kleine Schlange gebildet, wir sollten uns beeilen, bevor die Busreisegruppen ankommen. Ein Ausflugsziel, das eher der Kategorie Massentourismus als nachhaltiges Reisen zuzuordnen ist. Der Andrang ist jedoch zurecht so groß. Das Wasser ist kristallklar und hat Trinkwasserqualität, gleichzeitig schimmert es türkis. Stromschnellen und tiefe Becken wechseln sich ab, bis das Tal breiter wird und man letztendlich zu einem Wasserfall gelangt. An einigen Stellen konnte man von den Holzstegen aus Forellen beobachten; viele Pflanzen blühten. Doch leider blieb nicht viel Zeit, die Landschaft auf sich wirken zu lassen, denn auf dem Rückweg waren die Wege bereits so überfüllt, dass man nicht mehr über Gehen und Stehenbleiben entscheiden konnte, sondern schlicht der Masse folgen musste. Die wilde Schönheit der Vintgar-Schlucht ist faszinierend, doch es wäre sicherlich besser, wenn weniger Menschen auf einmal dieses Erlebnis haben könnten. Im Anschluss an den Spaziergang durch die Schlucht entschieden wir uns für eine Rundwanderung am Ufer und oberhalb des Bleder Sees. Nach dem Aufstieg zur Kirche und zur Burg folgten wir dem Rundweg um den See. Zahlreiche Leute schwammen im See, dessen Wasser trotz des grauen Himmels in einem intensiven Türkis strahlte. Badesachen hatten wir nicht mit, aber es war einfach zu verlockend, um nicht auf einen der vielen Trampelpfade durch den kleinen Wald zu biegen und zumindest kurz die Füße in das warme Wasser zu halten. Die Äste der Bäume am Ufer rahmten die Insel mit ihrer gotischen Kirche ein, im Vordergrund blühten die Seerosen in weiß, gelb und rosa. Es folgte ein kurzer, aber steiler Anstieg auf den Mala Osojnica; ein idealer Ort, um die erste Challenge mit dem Yoaling zu erfüllen. Von dem Felsen aus eröffnete sich ein fantastischer Blick auf den See und, theoretisch, in Richtung des Triglav Nationalparks. Kurz vor Ende des Seerundgangs kam der letzte Aufstieg auf Straža. Dank der Sommerrodelbahn ging es innerhalb weniger Minuten wieder hinunter zum See; es war der krönende Abschluss eines erlebnisreichen Tages.

Die kürzeste Bahnfahrt der Reise brachte uns nach Villach, unserem nächsten Stopp. Kaum waren wir ausgestiegen, fing es an zu gewittern. Eigentlich wollten wir einfach möglichst schnell mit den schweren Rucksäcken ins Trockene. Trotzdem bekam ich bei den farbenfrohen Gassen der Altstadt auf Anhieb gute Laune. In der Unterkunft angekommen wurde der geplante Stadtrundgang durch die Warnung vor lebensgefährlichen Erdblitzen immer weiter nach hinten verschoben, bis es am frühen Nachmittag endlich etwas auflockerte. Die kleine Stadt mit ihren aufwändigen Fassaden und ihrem mediterranen Flair lädt zum Verweilen ein. Als wir abends durch eine kleine Laubengasse in den Innenhof einer Pizzeria gingen, dachten wir, wir wären in den falschen Zug gestiegen und in Italien gelandet. Schließlich folgten wir der Drau, über der in der Abenddämmerung Nebel aufstieg, bis zur Kirche St. Martin, in deren Nähe sich unsere Jugendherberge befand. Der Wetterbericht gab leider wenig Hoffnung auf Besserung und so blätterten wir durch das Angebot der KärntenCard, die wir beim Check-In erhalten hatten. Ein einziger Programmpunkt wurde am nächsten Tag angeboten: Führung und Verkostung im Zitrusgarten in Faak. Nicht unbedingt das, was wir uns an Aktivitäten in Villach vorgestellt hatten, aber viel falsch machen konnten wir nicht, unsere Zimmernachbarinnen schlossen sich uns an. Durch den überschaubaren Busfahrplan waren wir zwei Stunden zu früh am Garten. Ein kräftiges Gewitter verhinderte das Erkunden der Gegend, also warteten wir auf den Beginn der Führung – halb so schlimm, wenn man Kartenspiele dabeihat. Sowohl der Garten als auch die Verkostung fielen kleiner aus als erwartet, nichtsdestotrotz war es interessant. Es hatte in der Zwischenzeit aufgehört zu gewittern. Ich hatte mir schon lange gewünscht, in einem der vielen Kärntner Badeseen zu schwimmen und da wir bereits in Faak waren, bot sich mit dem Faaker See die ideale Gelegenheit. Dass diese Annahme etwas naiv war, wurde uns im Laufe der nächsten Stunden klar. Zunächst folgten wir einem Weg, der sich nach einer Weile immer weiter vom Seeufer entfernte, bevor wir an einem Seezugang vorbeigekommen waren. Wir bogen auf eine andere, nah am See verlaufende Straße, doch überall nur private Zugänge und Strandbäder, für die das Wetter nicht beständig genug war. Schließlich erfuhren wir, dass es genau einen freien Seezugang am Faaker See gibt, genau auf der gegenüberliegenden Seite. Die Sonne schien mittlerweile und mit den Kilometern der Vortage in den Knochen hielt sich der Spaßfaktor in Grenzen, als wir fast zwei Stunden an der Landstraße entlangliefen. Die endgültige Ernüchterung folgte dann, als wir zum sogenannten „freien Seezugang“ kamen. Nachdem uns eine Forststraße auf eine nicht unerhebliche Höhe über den See gebracht hatte, führte ein schmaler Pfad zu einem ungefähr zwei Meter breiten, matschigen Streifen, der auch noch besetzt war. Es war die schlechteste Erfahrung, die wir auf unserer Reise gemacht haben. Immer wieder das hellblaue Wasser des Faaker Sees zu sehen, aber nicht hinzukönnen, war frustrierend. Ein erneut aufziehendes Gewitter bestätigte uns darin, zurück nach Villach zu fahren. Der Abend in der Altstadt, den wir bei lokalen Spezialitäten im Brauhof ausklingen ließen, entschädigte uns für die vorherige Pleite. Auch wenn die Berge nach wie vor nur zu erahnen waren, begeisterte mich die Region Villach; ich wäre gerne länger geblieben. Gleichzeitig wuchs die Vorfreude auf unser nächstes Reiseziel, Innsbruck.

Zum ersten Mal seit unserem Tag in Wien war das Wetter gut, was wir sofort für einen Spaziergang durch die Stadt nutzten. Wir waren keine halbe Stunde unterwegs, als es begann sich zuzuziehen. Relativ schnell zog eine große Gewitterfront näher und wir mussten den Rundgang abbrechen – Murphy’s Law schlug auf unserer Reise immer wieder aufs Neue zu, so langsam hatten wir genug davon. Und tatsächlich war es am folgenden Tag relativ stabil, sodass wir erst eine kleine Wanderung planten, um anschließend den Stadtrundgang zu vervollständigen. Was eher einem Spaziergang gleichen sollte, wurde allerdings schon bald zu einem kleinen Abenteuer. Keinerlei Wegweiser bei unzähligen Pfaden, die auf der Karte nicht eingezeichnet waren. Es war nicht abzusehen, welcher Weg in die richtige Richtung führte. Nachdem wir uns mehrfach falsch entschieden hatten, gelangten wir endlich auf den richtigen Weg. Doch fast an jeder Kreuzung wiederholte sich das Problem; die digitale Wanderkarte war nur begrenzt hilfreich. Dafür teilte uns die App zuverlässig mit, wie viele Kilometer und Höhenmeter wir vergeblich zurücklegten. Immer wieder waren wir kurz davor, umzudrehen und abzubrechen, bis wir letztendlich zu einer der Wegmarken unserer Route gelangten, der Wallfahrtskapelle Höttinger Bild. Von dort aus war der Weg tatsächlich ausgeschildert. Der schmale Steig mündete kurze Zeit später auf einen breiten Forstweg, dem wir der Einfachheit halber daraufhin bis zu unserem Ziel, einer bewirtschafteten Alm, folgten. Bei hausgemachtem Himbeersirup genossen wir den Ausblick auf das Tal und die gegenüberliegenden Gebirgsketten. Beim Abstieg fanden wir dann auf Anhieb den Weg, den wir eigentlich schon bergauf nehmen wollten. Verlassene, teils halb zugewachsene Pfade führten uns durch einen wunderschönen Wald wieder zur Stadt hinunter. Wieder unten angekommen, musste ich den Tag alleine fortsetzen. Sophia, die mit mir unterwegs war, ist krank geworden. Nachdem wir in der letzten Woche alles gemeinsam unternommen hatten, fühlte ich mich am Anfang ein bisschen verloren, aber solange das Wetter mitspielte, wollte ich den Tag noch bestmöglich nutzen. Als erstes ging ich in Richtung Hofgarten, der mir so gut gefiel, dass ich gleich mehrere Runden hindurch schlenderte. Von den abwechslungsreichen Pflanzungen konnte ich einige Ideen für mein Studium mitnehmen. Im Anschluss daran ging ich zum nahegelegenen Dom zu St. Jakob, um den leider ein Bauzaun verlief. Als ich durch die Tür hinein ging, hatte ich das Gefühl, in eine andere Welt gegangen zu sein. Dem Trubel der Stadt wich bedächtige Stille, die den Raum bis unter die gewaltigen Kuppeln ausfüllte. Die Stimmung und die unzähligen Details zogen mich in ihren Bann, ich setzte mich in die erste Reihe, beobachtete und vergaß darüber die Zeit. Letztendlich verbrachte ich über 40 Minuten in dem Dom, der zweifellos einer der schönsten war, die ich bisher gesehen hatte. Zum Abschluss des Tages beschloss ich, noch einmal zum Inn zu laufen, wo mich ein einzigartiges Lichtspiel erwartete. Die Sonne schien unter einer grauen, hohen Wolkendecke hindurch und spiegelte sich golden im Inn, der im Gegenlicht fast schwarz erschien. Vor der Gebirgskette am gegenüberliegenden Ufer stieg eine Nebelwand auf, die ebenfalls goldfarben angestrahlt wurde. Doch innerhalb weniger Minuten wandelte sich die Atmosphäre zum Düsteren, Bedrohlichen. Aus den Bergen hörte man bereits den ersten Donner. Noch bevor ich wieder in der Altstadt ankam, setzte Platzregen ein. Da ich mit T-Shirt und Stoffbeutel nicht auf einen derartigen Wolkenbruch vorbereitet war, stellte ich mich wie viele andere in den Laubengassen unter. Der Regen ließ nicht nach und füllte langsam die Straßen. Nach fast 20 Minuten machte ich mich auf den Weg zur Unterkunft – Dusche inklusive. Wir hofften, am nächsten und letzten Tag in Innsbruck wieder gemeinsam etwas unternehmen zu können und einmal nicht vom Wetter zum Abbruch gezwungen zu werden.

Der Tag begann wie der vorherige mit einem wolkenlosen Himmel. Aus dem Fenster unseres Zimmers wirkten die Berge zum Greifen nah. Leider stand noch vor dem Frühstück fest, dass ich alleine aufbrechen muss. Ich wollte kein Risiko eingehen und suchte mir eine Rundwanderung, die insgesamt als „leicht“ eingestuft war. An der Talstation der Nordkettenbahn war bereits eine riesige Schlange und die Gondeln waren restlos überfüllt. Oben angekommen war es schwierig, so die Aussicht zu genießen. Den Hafelekar wollte ich so auch nicht besteigen und versuchte, den Moment abzupassen, in dem alle aus meiner Gondel bereits oben waren und auf dem Rückweg waren oder weitergingen, aber die nächste Gondel die Bergstation noch nicht erreicht hatte. Trotzdem war es auf dem Gipfel noch immer sehr voll. Viel mehr als ein paar Erinnerungsfotos waren nicht möglich, sodass ich möglichst schnell weiter zum Gleirschjöchl wandern wollte. Dabei wurden jedoch erneut die schlechten Beschilderungen zum Hindernis. Bei einem derart beliebten Wandergebiet überraschte es mich dann schon, dass mein Ziel nicht ausgeschildert war und so musste ich mich durchfragen. Glücklicherweise fand ich unter all den Touristen schnell einen Ortskundigen, der mir außerdem erneut bestätigte, dass der Weg zur Gleirschspitze „völlig harmlos“ sei. Zumindest war er angenehm leer. Anfangs fühlte es sich seltsam an, da ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie alleine gewandert bin. Aber mit jedem Schritt gewöhnte ich mich mehr daran und war begeistert von dem Blick zum Karwendel auf der linken und in das Inntal auf der rechten Seite. Nach einer Weile traf mein Weg auf den Goetheweg, den ich ursprünglich gehen wollte, mich dann jedoch dagegen entschieden habe, da Gratüberquerungen vorkommen, die als anspruchsvoll beschrieben waren. Der Abschnitt, den ich gegangen bin, war kein Problem. Am Fels waren durchgehend Stahlseile befestigt und der Weg war gut zu gehen. Das größte Hindernis war eine Schafsherde, die sich mitten auf den Weg gelegt hatte. Abenteuerlicher wurde es dann ab dem Gleirschjöchl. Von dort aus waren der Goetheweg, der Weg zurück zur Bergstation und ein Weg zur Mittelstation, den ich auf dem Rückweg nehmen wollte, ausgeschildert, nur die Gleirschspitze nicht. Es gab einen weiteren Pfad, der nicht beschildert war und von dem ich annahm, dass er zum Gipfel führt. Stattdessen wurde relativ schnell deutlich, dass der Weg eher bergab und um das Massiv herum führt, also drehte ich um. Am Gleirschjöchl stand eine Gruppe Wanderer. Ich bekam mit, dass sie sich über den Aufstieg zur Gleirschspitze unterhielten und stieg in das Gespräch ein. Letztendlich kamen wir zu dem Schluss, dass es keinen Weg gibt und wir wohl querfeldein laufen müssen. Daraufhin entschieden sich zwei der Wanderer, einfach weiter dem Goetheweg zu folgen; eine ältere Frau und ich wollten es trotzdem versuchen, den Gipfel zu erreichen, auf dem wir bereits Leute sehen konnten. Ich ging ein gutes Stück vor ihr, der erste Teil über Wiesen war noch unproblematisch, bis es schlagartig steil und rutschig wurde. In Serpentinen suchte ich mir einen Weg über das Geröll, während ich rätselte, wie ich dort jemals wieder herunterkommen sollte. Aufgeben kam für mich trotzdem nicht in Frage. Zur Not auf allen Vieren, dachte ich mir. Dass es möglich war, bestätigten zwei Männer, die mir vom Gipfel entgegenkamen. Mit dem Gipfelkreuz fest im Blick kletterte ich weiter nach oben. Ab und zu drehte ich mich um, ich war besorgt um die ältere Frau mit ihren Stöcken. Schließlich kam ich am Gipfel an, der, vorsichtig formuliert, luftig war. Zu allen Seiten, außer zu der Seite des Aufstiegs, ging es hunderte Meter senkrecht nach unten. Um das Gipfelkreuz war für zwei Personen Platz zum Sitzen. Angespannt setzte ich mich möglichst nah an das Gipfelkreuz, möglichst weit weg vom Abgrund, bevor ich das traumhafte Rundumpanorama genießen konnte. Einige Minuten nach mir kam auch die Frau an, die mit mir am Gleirschjöchl gestartet war. Nach einer ausgiebigen Pause und dem Eintrag ins Gipfelbuch begann ich den Abstieg. Meine Beine zitterten vor Anspannung. Egal, wie lange ich brauche, Hauptsache sicher, dachte ich mir und ging vorsichtig, Schritt für Schritt, über das Geröllfeld nach unten. Zwischendurch bin ich an meine Grenzen gestoßen und hätte mir eine Begleitung gewünscht; es fiel mir schwer, ruhig zu bleiben. Endlich erreichte ich wieder die Wiese und spürte, wie eine riesige Last von mir fiel. Erschöpft und auch ein wenig stolz lief ich zurück zur Weggabelung. Auf dem Weg dorthin kam mir ein Mann entgegen, der mich in gebrochenem Deutsch fragte, ob ich auf dem Gipfel gewesen sei und ob der Aufstieg schwierig sei. Er wirkte nicht besonders bergerfahren und hatte keine Wanderschuhe. Ich riet ihm davon ab, er bedankte sich. Umso erstaunter war ich, als ich sah, dass er weiter Richtung Gipfel lief. An der Gabelung machte ich eine weitere kleine Pause und bemerkte, dass der Mann einfach am Abgrund stand und herunterschaute, er wirkte wie gelähmt. Ich war zu besorgt, um einfach weiterzugehen. Nach mehreren Minuten, ich hatte gerade beschlossen, noch einmal hinzugehen, ging er zum Glück zurück. Wirklich beruhigt konnte ich mich trotzdem nicht auf den Weg zur Mittelstation machen, als ich realisierte, dass alle Wege als mittelschwer markiert waren, nur meiner als schwer. Der Weg war so schmal, dass man zwischenzeitlich nur einen Fuß vor den anderen setzen konnte, gleichzeitig war es relativ ausgesetzt; jedoch ließ sich der Weg mit etwas Erfahrung und Konzentration gut bewältigen. Trotzdem war ich froh, als ich gut bei der Mittelstation angekommen war und fragte mich, wer diese Route als „einfach“ eingestuft hatte. Da ich noch viel Zeit hatte, entschied ich mich, einen Panoramarundweg anzuschließen, den es laut Karte geben sollte – nur war der Weg wieder nicht ausgeschildert. Es gab dafür einen „Perspektivenweg“, dem ich daraufhin folgte. Es wurde relativ schnell deutlich, dass der Weg breit bleibt, äußerst kurz und eher für die Massen gedacht ist und so bog ich an einer Gabelung – nach rechts war der Perspektivenweg ausgeschildert, nach links nichts – links ab. Ich vertraute auf mein GPS und wollte einen eigenen Rundweg suchen. Sofort hatte ich den Weg, der maximal ein Drittel der vorherigen Breite hatte, für mich. In Ruhe konnte ich das Panorama genießen. Ein Stück oberhalb sah ich einen weiteren Weg, der parallel verlief. Ich vermutete, dass es sich um den Klettersteig-Ausstieg handelte und setzte darauf, dass mein Weg auf diesen Weg mündete. Als ich nach einer halben Stunde immer noch nicht an Höhe gewonnen hatte, schaute ich erneut auf die Karte und stellte fest, dass der Weg sich nicht mit einem anderen Weg trifft, der wieder zur Mittelstation führt. Umdrehen musste ich aber nicht, ein Trampelpfad führte schräg nach oben. Doch nach wenigen Metern wirkte es so, als wäre hier lediglich eine Schafherde entlanggelaufen. Zum zweiten Mal ging ich querfeldein, bis plötzlich eine Wegmarkierung kam und es erneut einen Trampelpfad gab. Kurz darauf kamen mir zwei Wanderer entgegen und es dauerte nicht mehr lange, bis ich auf den Ausstieg des Klettersteigs traf. Einzelne Wolken waren aufgezogen, die für ein wunderschönes Licht-und-Schatten-Spiel sorgten. Ich ging noch eine weitere halbe Stunde in die Richtung, bis ich auf einem Felsen Rast machte und schließlich zurück zur Mittelstation lief. Auf dem Rückweg baute ich dann noch den Rest des Perspektivenwegs ein und genoss den Blick auf Innsbruck, bis ich mit der vorletzten Talfahrt wieder in die Stadt fuhr. Müde, aber überglücklich drehte ich noch eine Runde durch die Stadt, bevor ich zurück in das B&B ging. Es war eine wertvolle Erfahrung alleine zu wandern, die mir zwischendurch alles abverlangt hat; gleichzeitig war es eine der schönsten Panoramawanderungen, die ich bisher gemacht habe.

Am nächsten Morgen verließen wir Österreich Richtung St. Moritz; für uns nur ein notwendiger Zwischenstopp, um anschließend den Glacier Express nach Zermatt zu nehmen und von dort aus weiter nach Grindelwald zu fahren. Trotzdem hofften wir, am Nachmittag zumindest eine kleine Wanderung zum Lej da Staz machen zu können. Problematisch war, dass unsere Bahn mitten auf der Strecke stehen blieb, zunächst nur für 10 Minuten, sodass wir den Anschluss noch bekommen hätten. Später kam jedoch ein Weichenschaden dazu und es war klar, dass wir erst eine Stunde später als geplant in St. Moritz ankommen würden. Theoretisch hätte die Zeit noch zum Wandern gereicht; nach unserer Ankunft umrundeten wir auf dem Weg zur Jugendherberge zur Hälfte den See. Nachdem es kräftig anfing zu regnen, entschieden wir uns gegen eine Wanderung. Außer dem Weg vom Bahnhof zur Jugendherberge und zum Supermarkt haben wir von St. Moritz letztendlich nichts gesehen und so ging es schon am darauffolgenden Morgen nach Zermatt; das Highlight an St. Moritz war die Anreise. Von Chur aus waren wir mit einem alten Zug, in dem man die Fenster öffnen konnte, über die spektakuläre Albulalinie gefahren.

Der Glacier Express war bis Chur angenehm leer (danach dann umso voller) und der Service besser als ohnehin schon gedacht. Über Kopfhörer konnte man während der Fahrt Anekdoten über die jeweilige Region hören, die durch Informationen des Personals ergänzt wurden. Wie in einem Restaurant wurde man bedient, die angebotenen Gerichte waren regional und wirkten qualitativ sehr hochwertig. Während der Fahrt erfuhren wir außerdem, dass der Glacier Express ausschließlich mit nachhaltig produziertem Strom fährt. Unsere größte Sorge war, dass ausgerechnet während der Fahrt die Wolken so tief hängen, dass man kaum etwas sieht. Anfangs war es tatsächlich etwas verhangen, aber ab Andermatt begleitete uns die Sonne. Die Landschaften zogen an uns vorbei, jeder Blick aus dem Fenster gab einen neuen Einblick. Wir bemerkten nicht, wie die Stunden vergingen. Obwohl wir den ganzen Tag in der Bahn saßen, nahmen wir die Fahrt nicht als Reisetag wahr, vielmehr war es ein Erlebnis. Drei Umstiege trennten uns nach der Panoramafahrt noch von Grindelwald, dem letzten Stopp auf unserer Reise durch die Alpen. Mit Spiez erreichten wir schon bald den ersten mir bekannten Ort. Ich erinnerte mich an meine vorherigen Reisen in die Region. Nach drei Jahren konnte ich endlich wieder an meinen Lieblingsort in den Alpen reisen, der auch nachdem ich in den vergangenen zwei Wochen viele schöne neue Orte kennengelernt hatte weiterhin mein Lieblingsort ist. Als wir in Interlaken in die Regionalbahn nach Grindelwald stiegen, hatte ich bereits das Gefühl, angekommen zu sein. So oft war ich diese Strecke bereits gefahren und doch finde ich sie jedes Mal wieder wunderschön. Besonders der Blick auf den Eiger fasziniert mich immer wieder. Ein bisschen Sport hatten wir am Ende des Tages auch noch, da wir die Strecke vom Bahnhof zum Hostel unterschätzt hatten und uns nur 20 Minuten blieben, bevor die Rezeption schloss. Vor Ort stellte sich dann heraus, dass das Joggen umsonst war, weil bereits ein Briefumschlag für ein late Check In für uns hinterlegt war. Vielleicht lag es an unserer Müdigkeit, dass uns das Hostel wie ein Irrgarten vorkam. Dass wir auf der Suche nach der Küche schließlich draußen standen, hatte aber seine Richtigkeit; so etwas hatten wir auch noch nicht erlebt. Über dem Herd hing ein Schild „Bitte nicht die Füchse füttern“. Alles war etwas sparsam, aber ausreichend. Das Frühstücksbüffet war dafür umso besser. Gut gestärkt fuhren wir bei traumhaften Bedingungen mit der Zahnradbahn zur Kleinen Scheidegg. Neben mir saßen Einheimische; als eine Information über Sprengungen am Eiger auf der Anzeige erschien, kamen wir schnell über die aktuellen Bauprojekte ins Gespräch, die wir gemeinsam kritisch diskutierten. Ich kenne den Ort seit 14 Jahren und frage mich immer wieder, ob in der Planung die richtigen Entscheidungen getroffen wurden, insbesondere, seitdem ich Landschaftsarchitektur studiere. Von meinem ersten Urlaub in Grindelwald hatte ich noch positive Erinnerungen an das Jungfraujoch, doch mit jedem Jahr nahm die Kommerzialisierung zu. Mittlerweile erinnert der Ort an einen Zirkus; Vermarktung und Entertainment für die Massen stehen im Vordergrund, an die fragile Natur in diesen Höhen scheint niemand zu denken. Wenn ich an Negativbeispiele für Alpentourismus denke, fällt mir das Jungfraujoch als erstes ein. Dass zusätzlich zu den vorhandenen Bahnverbindungen eine schnelle, neue Seilbahn direkt bis zur Station Eigergletscher gebaut wird, um noch mehr Touristen in noch kürzerer Zeit in die ohnehin schon unter den Menschenmassen und dem Klimawandel leidende Landschaft zu bringen, ist sicherlich nicht der richtige Weg. Während die Zahnradbahn in die Landschaft eingebettet ist, wird auch das Landschaftsbild durch die Seilbahn erheblich gestört werden. Als wir ausstiegen, versuchte ich diese Gedanken zumindest für die Zeit der Wanderung zu verdrängen, um den letzten Tag der Reise zu genießen. Von der Kleinen Scheidegg wählten wir den Panoramaweg zum Männlichen. Ich stellte fest, dass Grindelwald noch schöner liegt, als ich es in Erinnerung hatte. Vom Gipfel des Männlichen hatte man einen unvergesslichen Ausblick: Eiger, Mönch und Jungfrau, die Gletscher, das Lauterbrunnental, der Brienzersee, Schynige Platte, Faulhorn, First und das Wetterhorn. Mit diesem Blick wurden wir definitiv für alle verregneten Tage entschädigt. Anschließend liefen wir über einen kleinen Weg durch blühende Bergwiesen zur Mittelstation der Männlichenbahn, die zurzeit erneuert wird, herunter. Wir konnten einige Murmeltiere beobachten, die bereits deutlich erkennbare Polster für den Winter hatten. Abkühlung fanden wir an einem kleinen Gebirgsbach. Auf dem gesamten Weg hatten uns Kühe begleitet und kurz vor der Mittelstation kamen wir zu einem kleinen Käseverkauf – die nächste Yoalin Challenge, eating local, war erfüllt. Im letzten Abschnitt der Wanderung liefen wir von der Mittelstation bis zu unserem Hostel im Tal. Abends schlenderten wir noch durch das Zentrum, in dem sich in den letzten Jahren im Gegensatz zu den Bergbahnen nichts geändert hatte.

Insgesamt war es ein toller Abschluss einer wundervollen Reise, auf der ich die Alpen noch besser kennenlernen konnte und gleichzeitig viel über Nachhaltigkeit nachgedacht habe. Ich bin dankbar für diese Möglichkeit und die Erfahrungen, die ich so machen konnte und für mich steht fest, dass meine zweite Interrail-Reise definitiv nicht meine letzte war.

Sofie Lux

Wanderung vom Männlichen nach Grindelwald